Leben mit Sprachverlust (Aphasie)

In der Schweiz verlieren jedes Jahr rund 5000 Menschen nach einem Hirnschlag oder einem Unfall vorübergehend oder dauerhaft die Sprache. Der Fachausdruck dafür heisst «Aphasie». Von einem Tag auf den anderen müssen sie mit tiefgreifenden sozialen, familiären und beruflichen Veränderungen zurechtkommen. Aussenstehende können kaum ermessen, was der Verlust der Sprache für die Betroffenen und ihre Angehörigen bedeutet.


Aphasie ist ein Leiden, das mehrheitlich im Alter auftritt. Allerdings sind rund 10 Prozent der Betroffenen 60 und jünger, stehen also noch im Arbeitsprozess. Zur Risikogruppe gehö̈ren gleichermassen Frauen und Männer, die sich zu wenig bewegen, rauchen, einen hohen Blutdruck und schlechte Cholesterinwerte haben, sich ungesund ernä̈hren und/oder ü̈bergewichtig sind. Hinzu kommen genetische Veranlagungen in Familien, in denen Herzinfarkte oder Schlaganfälle und damit Aphasien häufiger auftreten. Bei rund einem Drittel kennt man die Ursache nicht.


Selbst bei guter Erholung erreichen Betroffene in aller Regel nur noch zwei Drittel ihres einstigen Sprechtempos. Viele leiden unter Wortfindungsstörungen, verwechseln also zum Beispiel «Messer» mit «Tasse» oder können sich nicht mehr erinnern, wie der Nachbar heisst. Dritte tun sich besonders schwer mit Lesen oder Rechnen. Bei der Rehabilitation spielt die Logopä̈die eine wichtige Rolle. Je früher und intensiver die Sprachtherapie durchgefü̈hrt wird, desto besser sind die Chancen auf Erholung.

Zwei Broschüren und ein neues Buch

Für Betroffene und Angehörige hat der in Luzern ansässige Verein «aphasie suisse» zwei Broschüren herausgegeben: In «Gutes Leben mit Aphasie» werden zehn aphasische Menschen porträtiert. Die Texte regen zum Nachdenken an und machen Mut, das Leben mit Aphasie zu meistern. In «Auch mein Leben hat sich verändert» kommen zehn Angehörige zu Wort. Die Porträts berühren durch ihre Ehrlichkeit und zeigen, wie man mit der schwierigen Lebenssituation umgehen kann.


Nun ist in Zusammenarbeit mit der Zürcher Autorin Barbara Lukesch auch noch ein Buch zum Thema entstanden, das von «aphasie suisse» im Verlagshaus Schwellbrunn herausgegeben wird: «Das Aphasie-Experiment».

Bekannte Schweizer Persönlichkeiten erklärten sich bereit, bei ihren alltäglichen Verpflichtungen einen ganzen Tag lang aufs Sprechen zu verzichten und anschliessend über ihre Erfahrungen zu berichten.


Unter anderem die Innerschweizer Künstler Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg, bekannt als Duo «Ohne Rolf», Stephanie von Orelli, Chefärztin der Zürcher Frauenklinik Triemli, die in Luzern wohnhafte Elfi Seiler, Mitbesitzerin der Zürcher St. Peter-Apotheke, der ETH-Professor und IT-Unternehmer Anton Gunzinger, Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich, und der Schauspieler Beat Schlatter.


Für Stephanie von Orelli war es an jenem Tag, als ob der Draht zu ihrer Umgebung gekappt worden sei: «Ich habe mich total allein und einsam gefühlt, weil sich kaum noch jemand an mich gewendet hat.» Helena Trachsel wurde «schon nach wenigen Stunden klar, dass ich ohne Sprache keine Vorgesetztenposition mehr bekleiden könnte». An Besprechungen habe sie Ohnmacht verspürt: «Die Anwesenden redeten und verhielten sich so, als sei ich Luft und sitze nicht mit am Tisch.» Der Kabarettist Beat Schlatter sagte nach dem Experiment: «Ich bin so dankbar, dass ich reden kann.»


Die Autorin Barbara Lukesch setzte sich der Erfahrung ebenfalls aus: «Am Abend spüre ich, dass ich unglaublich groggy bin, müde, erschöpft, k.o. Im Bett liege ich noch lange wach und denke über den Tag nach. Das Gefühl überwiegt, dass man als aphasischer Mensch sehr viel verliert.»

Verständnis wecken für Betroffene

Mit dem neuen Buch will «aphasie suisse» die Öffentlichkeit auf die nach wie vor wenig bekannte Sprachstörung aufmerksam machen und Verständnis für die Situation der Betroffenen wecken. «Das Aphasie-Experiment» kann für

36 Franken plus Versandkosten direkt im Online-Shop der Nonprofit-Organisation bezogen werden. Ebenso die Broschüren mit den Porträts von Betroffenen und Angehörigen. Diese kosten je 12 Franken inkl. Versandkosten.